Das Problem mit der Rolle (in der Statik)

Das problematische Bild

Das nebenstehende Bild taucht schon auf Seite 2 des Lehrbuchs "Dankert/Dankert: Technische Mechanik" auf. An ihm werden die Begriffe erklärt, die eine Kraft kennzeichnen, und damit die Kraft eine allgemeine Lage in der Ebene hat, wurde die Gewichtskraft über die Rolle geleitet.

Unsere Studenten hatten damit kein Problem. "Das wissen wir aus dem Physik-Unterricht: Eine Rolle lenkt eine Kraft nur um, die Kraft behält dabei ihre Größe." Und häufig ergänzte jemand: "Das gilt aber nur für die feste Rolle, bei der losen Rolle halbiert sich die Kraft."

Plötzlich hatten wir als Lehrende (im Gegensatz zu den Studenten) ein Problem, denn eigentlich kommt die Rolle (so einfach sie sein mag) an dieser Stelle zu früh. Und die Vorstellung, dass die Rolle die Kraft umlenkt, ist zwar richtig, aber wir möchten im Hinblick auf schwierigere Probleme gern eine andere Betrachtungsweise (und bezüglich der "losen Rolle" mindestens eine richtige Formulierung).

So sollte man die "feste Rolle" sehen:

Man denkt sich das Seil (wie nebenstehend angedeutet) zerschnitten (das Schnittprinzip wird erst im Abschnitt 1.3 behandelt, ist aber so wichtig, dass man sich gar nicht erst angewöhnen sollte, anders zu denken, es existiert eine ganze Serie von Seiten zum Thema "Schnittprinzip"). An den beiden Schnittufern wird jeweils die Seilkraft FS angetragen (an beiden Ufern gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet). Diese Kräfte repräsentieren immer die Wirkung des weggeschnittenen Teils.

Dass FS = FG gelten muss, entspricht wohl der Erfahrung, aber auch hier wird bald eine neue Art zu denken angebracht sein (kommt erst im Kapitel 3): Sowohl FS als auch FG bewirken ein so genanntes Moment um den Punkt A, und weil beide am gleichen Hebelarm (Radius der Rolle) wirken, müssen die Kräfte gleich sein.

"Lose Rolle", man sollte sie möglichst vergessen

Die nebenstehende Skizze zeigt neben einer festen Rolle eine so genannte lose Rolle, wie sie im Physikunterricht vorkommt. Rechts sieht man die durch einen Schnitt entstandenen vier Teilsysteme, und man erkennt:

Sowohl für die feste Rolle als auch für die lose Rolle sind die Seilkräfte an beiden Seiten gleich (aus dem Grund, der oben für die feste Rolle angegeben ist, und der auch für die lose Rolle gilt). Das ist die wesentliche Eigenschaft einer Rolle (ob fest oder lose), die man sich vorerst merken sollte. Allerdings sollte man sich die unten vermerkten "Einschränkungen der getroffenen Aussage" schon einmal durchlesen.

Man erkennt auch die Besonderheit, die im Physikunterricht für die lose Rolle betont wurde: Weil an ihr zwei Seilkräfte nach oben wirken, kann an ihr die doppelte Kraft nach unten ziehen.

Dass sich die Seilkraft in einem Seil, das über eine Rolle geführt ist, in ihrer Größe nicht ändert (wohl aber die Kraftrichtung), sollte man sich merken, das kommt noch sehr oft vor in der Statik. Die Eigenschaft der losen Rolle, die man mal im Physikunterricht gelernt hat, darf man getrost vergessen, denn die nächste lose Rolle sieht zum Beispiel so aus wie nebenstehend gezeichnet. Die Sache mit der Seilkraft gilt auch hier, die Aussage über die lose Rolle sollte man möglichst vergessen haben.

Einschränkungen der getroffenen Aussagen

Und nachdem nun alles klar zu sein scheint, müssen doch noch einschränkende Bemerkungen gemacht werden:

"Eine Rolle lenkt die Seilkraft nur um, die dadurch ihre Richtung, nicht aber ihren Betrag ändert", gilt nur unter folgenden Voraussetzungen:
  • Die Rolle ist reibungsfrei gelagert, könnte sich also ohne Widerstand drehen, aber ...
  • ... sie dreht sich nicht.

Diese Einschränkungen mögen zusammen genommen absurd erscheinen, sind einzeln allerdings durchaus plausibel:

Der Anfänger sollte sich aber auf keinen Fall verwirren lassen. In der Statik sollte er darauf vertrauen, dass die Aussage von der Gleichheit der Beträge der Seilkräfte auf beiden Seiten einer Rolle gilt. Und auch dann, wenn sich beim Heben von Lasten mit Kranen die Rollen drehen, tun sie das in der Regel so langsam (bzw. mit konstanter Geschwindigkeit), dass die Trägheitskräfte keine Rolle spielen.

Als Student hat man es ohnehin etwas leichter als der Ingenieur in der Praxis, der sich Gedanken machen muss, ob sein einfaches Modell, das er für die Berechnung verwendet, ausreichend genaue Ergebnisse liefert. Der Student darf darauf vertrauen, dass in den Aufgabenstellungen darauf hingewiesen wird, wenn zum Beispiel Bewegungswiderstände oder Trägheitskräfte berücksichtigt werden müssen.